Eine gekürzte Fassung dieses Beitrags ist am 15.2.2017 im Handelsblatt als Gastkommentar unter dem Titel “Gegen die politische Naivität” erschienen
Wenn Demokratie ein Ethikwettbewerb wäre, dann würden Trump, Farage, Petry und die gesamte Avantgarde des Populismus regelmäßig den letzten Platz belegen. Ihre Politik ist fremdenfeindlich und misogyn, sie schürt irrationale Ängste und ein simples Freund-Feind-Schema zwischen „Volk“ und „Establishment“. Das Problem ist nur: Demokratie ist kein Ethikwettbewerb. Sie ist das beste und fairste Regelwerk für den Kampf um politische Macht, das wir kennen. Die großen Vordenker der Demokratie – Aristoteles, Joseph Schumpeter, John Rawls – haben diese einfache und brutale Wahrheit schon lange erkannt. Unsere Entscheidungsträger und intellektuellen Eliten scheinen sie vergessen zu haben. Deshalb laufen sie Gefahr, den Machtkampf gegen den Rechtspopulismus zu verlieren. Von Heinrich Heine, der schon immer ein kompliziertes Verhältnis zum Bildungsbürgertum hatte, stammt der schöne Ausspruch: Wir Deutschen besitzen im Luftreich des Traums die Herrschaft unbestritten. Dieser Beitrag ist ein Appell, aus dem Traum aufzuwachen und auf den Boden der Realität zurückzukehren.
Naiv ist es erstens zu glauben, dass man durch eine künstliche Sprache gesellschaftliche Differenzen einebnen kann. Mit Binnen-I, Gender-Sternchen und Unisex-Toiletten beglückt man vielleicht das Universitätsmilieu. Aber die meisten Bürger entfremdet man so von der Politik und treibt sie in die Arme der großen Vereinfacher, der populistischen Klartext-Redner. Naiv ist zweitens die Auffassung, es würde niemandem auffallen, wenn sich Meinungsführer einerseits in politischer Korrektheit überbieten und andererseits einzelne Bevölkerungsgruppen als „Pack“ herabwürdigen. Das ist nicht nur selbst Sprachverrohung auf populistischem Niveau, sondern auch bigott. Menschen haben ein sehr gutes Gespür für Bigotterie und strafen sie schonungslos an der Wahlurne ab. Drittens ist es naiv, die Gegenöffentlichkeit in sozialen Medien mit Schlagworten wie „Fake News“ und „postfaktisch“ zu bekämpfen. Auf die Spitze getrieben wird diese Strategie mit dem geplanten Abwehrzentrum gegen Desinformation. Gerade im Politischen – im Bereich der Werte, Normen, Konventionen – sind nackte Fakten, wenn überhaupt eine Seltenheit. Wer dennoch glaubt, einen privilegierten Zugang zur politischen Wahrheit zu haben und abweichende Positionen zensieren zu können, der betreibt Paternalismus. Es gibt keinen besseren Weg, um politischen Rückhalt zu verspielen.
Anstatt in Larmoyanz und Abwehrreflexen zu verharren, gilt es, den Machtkampf mit dem Populismus aufzunehmen. In Demokratien kämpft man um Macht, indem man um den Willen des Souveräns wirbt. Dafür müssen wir dringend unseren moralisierenden und belehrenden Duktus ablegen. Politisches Vertrauen wird nicht zurückgewonnen, indem man zeigt, wie verkommen und verroht der Gegner ist. Man erwirbt es, indem man die Interessen der Bevölkerung ernst nimmt und umsetzt – allerdings nicht um jeden Preis. Der freiheitliche Rechtsstaat markiert die unverrückbaren Grenzen politischer Willensbildung. Wer sie missachtet, ist kein politischer Gegner, sondern ein Verfassungsfeind. Und dieser muss mit allen Mitteln der wehrhaften Demokratie bekämpft werden. Auch das gehört zum Abschied von der politischen Naivität.