Interview mit Dominik Meier: Das Verhältnis zwischen (Politik-)Wissenschaft und praktischer Politikberatung

Dominik Meier, Inhaber von Miller & Meier Consulting und Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Politikberatung, schildert im vorliegenden Interview – hier in gekürzter Fassung lesbar – mit der Zeitschrift „Politikum“ die schwierige Gradwanderung und das großes gegenseitiges Unverständnis im Verhältnis zwischen (Politik-)Wissenschaft und praktischer Politikberatung. Dabei beleuchtet er als Grenzgänger beider Welten offen die Herausforderungen, vor denen das erfolgreiche Zusammenspiel der beiden Felder stehen. Er weist aber auch auf das Potenzial hin, wie gemeinsame Logiken und Denkweisen sich ergänzen könnten. Dabei vergisst er auch nicht die bedeutende Nachwuchsförderung und gibt einige Tipps an gegenwärtige Studierende, die die „Politikberatung“ als ein mögliches Berufsfeld für sich sehen.

F: Seit einigen Jahren läuft innerhalb der Politikwissenschaft eine Debatte zum aktuellen Stand des Faches. Dabei können zwei verschiedenen Positionen identifiziert werden. Die Vertreter der einen Position sehen in der Politikwissenschaft ein „Fach ohne Ausstrahlung“, welche zu einer Randdisziplin zu werden drohe. Im Gegensatz dazu halten Vertreter der anderen Position die deutsche Politikwissenschaft aufgrund ihrer Präsenz in internationalen Kongressen und in Peer-Review Journals als einen wichtigen Impulsgeber. Wie würden sie als Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Politikberatung (de’ge’pol) die gesellschaftliche Relevanz der Politikwissenschaft einschätzen?

DM: Leider kann ich der deutschen Politikwissenschaft kein gutes Zeugnis ausstellen. Ähnlich wie die Philosophie oder die Soziologie ist ihr Einfluss in der Lebensrealität der Gesellschaft gering, da ihre Debatten weiterhin auf den „Elfenbeinturm“ der Wissenschaft beschränkt bleiben. Ihre Wirkmächtigkeit wird daher gering sein, solange sie eine Herausforderung nicht überwindet: Im Feld der Politik herrscht eine andere Machtlogik als in der Wissenschaft und wissenschaftliche Akteure müssen sich auf diese Logik einlassen, sonst bleibt ihre Wirkung auf das eigene Feld beschränkt.

F: In welchen Bereichen berät die de’ge’pol und welche Rolle übernimmt dabei die Politikwissenschaft?

DM: Die de’ge’pol ist die berufsständische Vereinigung der Politikberaterinnen und Politikberater in Deutschland. Sie selbst bietet daher keine Beratungsleistungen an, wohl aber ihre korporativen und persönlichen Mitglieder. Zu den Auftraggebern zählen alle Akteure des demokratischen Willensbildungsprozesses, die Unterstützung bei der Interessenvertretung oder politischer Kommunikation suchen: Verbände, Stiftungen, Gewerkschaften, Unternehmen, NGOs, Parteien, Regierungen oder internationale Einrichtungen. Ideen und Erkenntnisse aus der Politikwissenschaft können eine wichtige Grundlage für Strategieentwicklung und Kommunikationskonzepte bilden. In der Regel ist allerdings festzustellen, dass sowohl die quantitative, modellbasierte Politologie als auch die normative politische Theorie sehr weit von der alltäglichen Realität des Politischen entfernt sind. Ich denke hier beispielsweise an parteiinterne Machtkämpfe um Listenplätze und Posten, inhaltliche Konflikte über Änderungsanträge, etc. Diese ‚Niederungen‘ des Politischen meidet die Politologie viel zu oft – meiner Meinung nach, zu Unrecht.

F: Wie ist ihre Erfahrung und Sichtweise auf das Verhältnis von Wissenschaft und Politik? Ist die Politik zu wissenschaftsvergessen oder sollte die Wissenschaft in ihrem Anspruch unmittelbar politisches Gehör zu finden, bescheidener werden?

DM: Diese Frage möchte ich aus zwei Perspektiven angehen: Zum einen hat die Politik in einer Demokratie nicht die Aufgabe, wissenschaftliche Empfehlungen umzusetzen und zwar gleich, wie überzeugt die jeweiligen Forscher von ihren Hypothesen sein mögen. Eine solche Denkweise ist zutiefst technokratisch und dem pluralistisch-demokratischen Gemeinwohlprinzip fremd. Die einfache Annahme, es gäbe im Bereich der Politischen so etwas wie eine ex ante zu ermittelnde ‚Wahrheit‘, die unabhängig vom Prozess der Willensbildung existiert und nur umzusetzen ist, halte ich für methodisch und ethisch verfehlt. Zum anderen sollten wissenschaftliche Akteure stets im Auge behalten, dass politische Entscheidungstragende unter permanenten Zeitdruck leben und keine Muße für utopische Gesellschaftsentwürfe aus den Studierstuben haben. Noch haben sie Zeit für hochabstrakte Modelle und Szenarien. Die Politik erzeugt Legitimität, in dem sie darauf abzielt, ihre Antworten gegenüber der Bevölkerung klar und für Laien nachvollziehbar zu kommunizieren. Es sind derartige diskursive Praktiken, die Wissenschaftler einhalten müssen, wenn sie politisch gehört werden wollen.

F: Welche Bedeutung kommt der Politikwissenschaft vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Herausforderungen und Krisen(-erfahrungen), z.B. der Corona-Krise, zu?

DM: Im Gegensatz zur Politikwissenschaft profitieren insbesondere spezialisierte Wissenschaftsfelder kurzfristig erheblich von Krisen. In der derzeitigen Ausnahmesituation der Corona-Krise erleben wir wie intensiv sich Politik der Logik der Gesundheitswissenschaft bemächtigt und sich Denkweisen, Maßnahmen oder Empfehlungen der Forschung aneignet. Plötzlich spielen Epidemiologie und Pathologie und ihre Protangonisten bei der Entscheidungsfindung eine entscheidende Rolle.  Dabei ist eine neue technokratischen Machtformation von Politik und Wissenschaft im gesundheitspolitischen Schnittmengenfeld entstanden. In einem Gastbeitrag in der Freitag haben wir kürzlich analysiert, dass die Übernahme wissenschaftlicher Argumentationslinien durch die Politik oftmals der eigenen Machtlegitimation und nicht der Implementierung entsprechender Empfehlungen dient. In Demokratien geht es letztlich immer um legitimatorische Narrative und Deutungshoheit.

F: Zielen Politikwissenschaft und Politikberatung nicht beide auf die Förderung des Austauschs zwischen Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft sowie der Stärkung der Demokratie ab? Könnte der engere Bezug nicht an diesem Ziel ansetzen?

DM: Mit den „Logiken der Macht“ habe ich zusammen mit Christian Blum ein Buch geschrieben, um genau diese enge Verbindung erneut anzuregen und einen neuen offenen Austausch zwischen (Politik-)Wissenschaft und Beratung anzustoßen. Länder wie die USA mit ihrer einflussreichen Think-Tank Kultur sind entscheidend weiter als wir in Deutschland. Während wir mit unserer Monografie und zahlreichen flankierenden Aufsätzen in den USA auf erhebliche Resonanz stoßen, erfahren wir bei unserer deutschen Politologie jedoch kaum Aufmerksamkeit. Gerade deshalb freue ich mich umso mehr über dieses Interview. Lasst uns gemeinsam mehr Mut wagen und die – gern kritische – Nähe suchen. Wir können voneinander enorm lernen – wir von Ihren analytischen Erkenntnissen, Sie von unserer praxeologischen Erfahrung

F: Könnte die Ursache für die Zurückhaltung der Politikwissenschaft gegenüber der Politikberatung darin liegen, dass Letzterem zuweilen ein negatives Image zugeschrieben wird?

DM: Interessenvertretung ist ein konstitutiver Teil unseres demokratischen Systems. So steht es im Grundgesetz. Auf uns in der Politikberatung kommt damit die Pflicht einher, dieser Verantwortung gerecht zu werden. Dabei ist folgendes von enormer Bedeutung und zentral in unseren Diskussionen mit der Politik: Ein klares Trennungsgebot in der Beratung. Entweder man berät direkt den politischen Betrieb oder man vertritt von außen Interessen in die Politik. Beides geht gleichzeitig nicht, sondern sorgt nur für Konflikte und zerstört vor allem das Vertrauen in Politik und Beratung. In der Politik geht es neben dem Hochkommen und Obenbleiben, final um Machtdurchsetzung. Damit ist jede Form von Interessenvertretung, auch die wissenschaftliche Politikberatung, direkt mit Machtfragen konfrontiert und mit Einflussnahme auf Politikgestaltung. Um sowohl falsche Erwartungen an politische Prozesse und Ergebnisse als auch gefährliche Mythen von herrschaftsfreien Gesellschaften zu vermeiden, dürfen wir diese politische Logik nicht leugnen. Vielmehr braucht es einen fairen, transparenten und gemeinwohlorientierten Regelrahmen für die Interessenvertretung. Dafür setze ich mich seit der Gründung der de’ge’pol ein.

F: Sie schrieben, „politologisch ausgebildeten Berufseinsteiger in den Beratungen sind mitunter mit hochspezifischen institutionellen Mechanismen vertraut – aber sie kennen die Geschäftsordnung des Bundestags nicht“. Was meinen sie damit?

DM: Das Ziel jeder Ausbildung im politischen Raum hat Weber treffend zusammengefasst. Die Fähigkeit dicke Bretter zu bohren – mit Augenmaß und Leidenschaft. Politik ist erst mal ein praktischer Handwerksberuf. Wir erwarten vor allem analytische Kompetenz aus dem Studium. Mittlerweile hat die Politikszene ein eigenes „Volontariatssystem“ aufgebaut – eine interne berufliche Weiterbildung zum Lückenschließen beim laufenden Politikbetrieb Der erste Befähigungsnachweis ist weniger vorhandenes Fachwissen als eine gesunde Portion Neugier und Demut sowie eine schnelle Auffassungsgabe: Wer bereit ist, erst einmal der Mentorin oder dem Mentor zu folgen, zu beobachten, zuzuhören und Fragen zu stellen, wird auch schnell in der Lage sein, den politischen Betrieb zu verstehen und eigene Ideen einzubringen.

F: Auch wenn die Politikwissenschaft weiterhin viele Studierende anzieht, ist der Berufseinstieg nach einem Abschluss nicht ganz so leicht. Die „Politikberatung“ könnte hier ein wichtiges Berufsfeld sein. Wie können Studierende ihre Chancen erhöhen, nach dem Studium in dieser Branche einzusteigen?

DM: Ein erfolgreicher Berufseinstieg als frischgebackene Politologen gelingt am besten, wenn sie über Erfahrungen in der praktischen Politik verfügen – national oder europäisch. Das heißt konkret: Praktika in Bundestagsbüros oder Ausschusssekretariaten, bei der EU-Kommission, bei Stiftungen oder Beratungen. Für die Beratungsbranche ist ein exzellentes Kommunikationstalent und Networking-Skills unverzichtbar, genauso wie extrem gute Englischkenntnisse. Ich empfehle zudem die universitären Schachtelsätze ad acta zu legen. Stattdessen gilt: Subjekt, Prädikat, Objekt – am besten nicht mehr als zehn Wörter. Denn in unserem Sektor kommunizieren wir schnell, kompakt und auf den Punkt.