Für politische Wahrhaftigkeit
Eine leicht geänderte Fassung dieses Beitrags ist am 18.7.2017 im Handelsblatt als Gastkommentar unter dem Titel „Linke Vandalen“ erschienen
Manchmal bemerkt man erst, wie wichtig ein politischer Wert ist, wenn er mit Füßen getreten wird. Als tausende Linksradikale anlässlich des G20-Gipfels Hamburg verwüsteten und dabei mit Selbstverständlichkeit Begriffe wie Gerechtigkeit und Frieden auf dem Schild führten, wurde mit einem Schlag deutlich: Bigotterie ist massentauglich, politische Wahrhaftigkeit ein bedrohtes Gut. Dabei bedeutet wahrhaftig zu sein nicht die Erhabenheit über jeden Zweifel. Es bedeutet vielmehr, dass sich politischer Diskurs und politische Praxis decken müssen: Mit dem Molotowcocktail in der Hand kann man nicht für Pazifismus werben – wer Geschäfte plündert, kann keine globale Solidarität predigen. Was an den Krawallen verstört, ist nicht nur das Ausmaß der Gewalt. Es ist vor allem auch das dramatische Auseinanderklaffen zwischen dem Anspruch der Täter auf moralische Überlegenheit und ihrem Handeln.
Politische Wahrhaftigkeit ist nicht nur ein intrinsischer Wert. Sie ist auch unabdingbar für das Vertrauen der Bürger in den politischen Prozess, weil sie Erwartungssicherheit gewährleistet. Und sie ist eine Voraussetzung für politischen Erfolg, weil sie Glaubwürdigkeit schafft. Wenn Diskurs und Praxis einander dauerhaft widersprechen, machen sich in der Bevölkerung Zynismus, Resignation und Politikverdrossenheit breit. Vor diesem Hintergrund wird klar, warum gerade linke Politiker derart hektisch reklamiert haben, die Randalierer seien keine linken Aktivisten gewesen, sondern Kriminelle. Ob diese Distanzierungsstrategie erfolsversprechend ist, sei dahingestellt. Letztlich ist die Frage zweitrangig, denn die Lehren aus Hamburg haben nicht nur mit den politischen Lagern zu tun. Die Bigotterie der Vandalen sollte vor allem eine Mahnung an alle Protagonisten aus Politik und Zivilgesellchaft sein, nicht das hohe Ross moralischer Überlegenheit zu besteigen, sondern das Verhältnis zwischen eigenen Sagen und Tun kritisch zu reflektieren. Mangelnde Wahrhaftigkeit schadet der Demokratie, egal ob von links oder rechts.